Am 16.11.2024 organisierten wir einen Vortrag mit dem Rechtsanwalt für Asyl- und Aufenthaltsrecht Jens Dieckmann über aktuelle Entwicklungen in der Asylpolitik aus menschenrechtlicher Perspektive. Der Vortrag war Teil der 14. Bonner Buchmesse Migration.
Im Mittelpunkt seines Vortrags stand das Recht auf ein faires Asylverfahren. Jens Dieckmann merkte an, dass es keine materielle Krise des Asylrechts gibt, sondern eine Krise der Fairness. Hiermit ist gemeint, dass es nicht an rechtlichen Regelungen zum Asylrecht mangelt. Denn das Asylrecht wurde über die Jahre stetig erweitert und Fluchtgründe wurden konkretisiert. Als Beispiel nannte er, dass bei einer Verfolgung aus geschlechtsspezifischen oder religiösen Gründen mittlerweile der höchste Schutzstatus zuerkannt wird. Es gibt auch genügend Regelungen, die Fairness und ein faires Verfahren garantieren. Er verwies hier auf europäische Richtlinien (bspw. Artikel 12 und 46 der EU-Asylverfahrensrichtlinie oder Artikel 5 der EU-Aufnahmerichtlinie), die die deutsche Asylpolitik prägen. Auch ist ein faires Verfahren eng mit den Freiheitsrechten verbunden und in Menschrechtsverträgen garantiert (z.B. Art. 6 EMRK und Art. 47 EU-Grundrechtecharta). Aber in der Praxis gibt es viele Hürden, die den Zugang zu einem fairen Verfahren erschweren.
So erschwert die reale Lebenssituation von Geflüchteten den Zugang zur einer Asylberatung. Zudem möchte das Land NRW die Beratungsangebote für Geflüchtete verringern. Es ist jedoch in Bezug auf Fairness wichtig, dass es so früh wie möglich Zugang für Geflüchtete zu einer unabhängigen Asylberatung gibt. Auch gibt es bei der Asylanhörung den Anspruch auch sogenannte Sonderbeauftragte, wenn es sich bspw. um Fälle sexualisierter Gewalt handelt. Die Betroffenen werden aber vor und während der Anhörung oft nicht darauf hingewiesen, dass es einen solchen Anspruch gibt. Bei der Abschiebehaft müssen die Gerichte seit Anfang 2024 eine Pflichtverteidigung für die Betroffenen hinzuziehen. Diese Regelung ist zwar begrüßenswert. Hierbei werden jedoch oft Anwältinnen und Anwälte ohne asylrechtliche Kompetenz herangezogen. Es gibt auch Abschiebeschutz aus medizinischen Gründen. Jedoch müssen die Betroffenen die Kosten für die entsprechenden Gutachten selbst aufbringen, die belegen, dass der Abbruch einer ärztlichen Behandlung durch eine Abschiebung gravierende negative Folgen hätte. Dies ist in der Praxis für die Betroffenen jedoch ohne zivilgesellschaftliche Unterstützung kaum leistbar.
Jens Dieckmann kritisierte auch die Ausweitung der Klassifizierung von Asylanträgen als „offensichtlich unbegründet“ und die Verbindung dieser mit dem Asylfolgeverfahren. Denn wenn das BAMF bei einem Asylfolgeantrag nicht von einem Schutzanspruch überzeugt ist, muss automatisch der Antrag als offensichtlich unbegründet angesehen werden. Hierdurch verringert sich die Klagefrist auf sieben Tage. Generell ist die Asylberatung mit immer kürzeren Fristen konfrontiert. Er kritisierte ebenfalls die geplante Regelung, dass Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz für Asylsuchende, für die ein anderes europäisches Land nach der Dublin-Verordnung zuständig ist, nur für zwei Wochen gewährt werden sollen. Gerichte hatten bereits bei früheren Verfahren angemerkt, dass es sich bei dieser 2-Wochen-Regelung, die für Geflüchtete aus Drittstaaten gilt, um einen Verstoß gegen die Artikel 1 und 2 des Grundgesetzes handelt.
In Bezug auf die Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) bezog sich seine Hauptkritik auf die Grenzverfahren. Es gibt bereits jetzt Asylsuchende, die im Niemandsland an EU-Außengrenzen gestrandet sind (bspw. an der Grenze zwischen Polen und Belarus). GEAS würde dies zur Norm machen. Denn es gilt hierbei die sogenannte Fiktion der Nichteinreise. Dies bedeutet, dass Menschen, die zwar eine EU-Außengrenze überquert haben und in Haft gehalten werden, trotzdem als nicht in die EU eingereist angesehen werden. Es wurden 600 Millionen Euro investiert um 30.000 Plätze in Hafteinrichtungen an den EU-Außengrenzen zu bauen. Es sollte sich allerdings von dem Gedanken verabschiedet werden, Schutzsuchende zu inhaftieren, so Dieckmann. Bei den geplanten Grenzverfahren in diesen Hafteinrichtungen merkte Jens Dieckmann an, dass es keinen verwaltungsrechtlichen Rechtsschutz gibt. Er kritisierte auch die geplanten Screeningverfahren. Hierbei ist vorgesehen, dass bei Personen, die die EU-Außengrenzen unbefugt überschreiten oder bspw. in Deutschland aufgegriffen werden, zwingend ein Screeningverfahren (Überprüfung von Personen) durchgeführt werden muss. Diese Menschen werden hierfür inhaftiert und es gibt keine Möglichkeit Rechtsmittel (also eine Klage) gegen die Screeningentscheidung einzulegen.
Jens Dieckmann beendete seinen Vortrag mit dem Appell, dass Menschenrechte nie über Wut und Hass verteidigt werden können. Er sprach davon, dass Menschenrechte im Asylkontext mit Zuversicht verteidigt werden.